Während die Entwicklung der Fahrgastzahlen seit Jahren steigt und mit dem 9-Euro-Ticket neue Rekordhöhen erreicht, müssen sich die Reisenden immer weniger Bahnhofsgebäude teilen. „In den vergangenen Jahrzehnten sind tausende Bahnhofsgebäude verkauft worden“, sagte Allianz pro Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege am Donnerstag in Berlin. Nach Angaben des gemeinnützigen Verkehrsbündnisses hat die Deutsche Bahn von 1999 bis Ende vergangenen Jahres 2.824 ihrer 3.507 Bahnhofsgebäude veräußert.
„Die meisten Bahnhöfe sind in den ostdeutschen Bundesländern verkauft worden. In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen gehört nur noch jedes 20. Bahnhofsgebäude dem Bund“, so Flege.
Der Grund für die zahlreichen Verkäufe liegt laut Allianz pro Schiene in einem „Webfehler der Bahnreform“. Seit der Bahnreform im Jahre 1994 finanziert der Bund nur noch den Bau und die Erneuerung von Bahnsteigen, fühlt sich aber nicht mehr für den Erhalt der Bahnhofsgebäude zuständig. Stattdessen verlange der Bund von seiner für die Bahnhöfe zuständigen Aktiengesellschaft DB Station & Service, die Gebäude durch Mieteinnahmen zu finanzieren, was insbesondere im ländlichen Raum „eine echte Herausforderung“ sei.
Der überwiegende Anteil der von der DB verkauften Gebäude stehe an Stationen, die weiterhin für den Schienenverkehr genutzt werden. „Zu viele der verkauften Empfangsgebäude sind heute in einem unbefriedigenden Zustand, viele können für die Reisenden nicht mehr genutzt werden und es fehlt der Überblick, wem jetzt welches Gebäude gehört“, kritisierte der Allianz pro Schiene-Geschäftsführer.
Attraktive Bahnhöfe würden aber „flächendeckend für die Verkehrswende gebraucht“, so das Verkehrsbündnis. „Die Mobilität der Zukunft hört ja nicht am Bahnhof auf. Bahnhöfe sollten Mobilitätsdrehscheiben sein, die mit anderen Verkehrsmitteln verknüpft sind und auch zur Revitalisierung ländlicher Räume beitragen“, sagte Flege. Dafür brauche man Gebäude, „in denen sich die Menschen gerne aufhalten und Dienstleistungen angeboten werden“.
Nach Ansicht der Allianz pro Schiene führe der Verkauf von Bahnhofsgebäuden allerdings nicht zwingend zu einer Verschlechterung für Bahnreisende. Flege: „Kommunen und Privatinvestoren haben bereits bewiesen, dass sie Vorbildliches mit ehemaligen DB-Gebäuden schaffen können. Fast ein Dutzend der von der Allianz pro Schiene ausgezeichneten Bahnhöfe des Jahres haben Empfangsgebäude im kommunalen oder im Privatbesitz.“
„Diese Leuchtturmprojekte dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Bund in den vergangenen Jahrzehnten schlicht nicht in der Verantwortung für attraktive Bahnhofsgebäude gesehen und die Allgemeinwohlverpflichtung sträflich vernachlässigt hat“, sagte Flege. Nun müssten „Bund und Länder in einer konzertierten Aktion dafür sorgen, die Bahnhofsgebäude für die Verkehrswende fitzumachen. Dazu gehört, die Attraktivierung auch finanziell zu unterstützen – unabhängig von der Eigentümerschaft der Bahnhofsgebäude.“
Quelle: Allianz pro Schiene e.V.