Nicht nur die ÖPNV-Unternehmen, sondern auch andere Mobilitätsdienstleister wie z. B. Carsharing-Anbieter haben unter den Folgen der Coronakrise zu leiden und verzeichnen teilweise große Umsatzeinbrüche. Nahverkehrs-praxis sprach u.a. darüber mit Gunnar Nehrke, Geschäftsführer des Bundesverbandes CarSharing e.V. (bcs).
Nahverkehrs-praxis: Herr Nehrke, die Corona-Pandemie hat zu einem Einbruch der Fahrgastzahlen im ÖPNV von zeitweise durchschnittlich 80 % geführt. PKW und Fahrrad sind hingegen die Gewinner. Wie sind die Carsharing-Unternehmen bisher durch die Krise gekommen?
Gunnar Nehrke: Die Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr haben die CarSharing-Branche massiv getroffen. Viele Anbieter mussten im März und April Umsatzverluste von 50 bis 80 % im Vergleich zum Vorjahr hinnehmen. Da die Menschen so viel wie möglich zuhause blieben, fielen viele Wege weg, die mit einem CarSharing-Auto üblicherweise gefahren werden: der Besuch bei Freunden und Verwandten, der Großeinkauf, die Dienstreise, die Fahrt in den Urlaub.
Seit einigen Wochen erholt sich die Branche. Es werden wieder mehr CarSharing-Autos genutzt, allerdings liegt die Auslastung weiterhin unter derjenigen des Vorjahres. Viele Anbieter sind aber wieder zuversichtlich, dass sie die Krise überstehen werden.
Schwierig ist die Lage in vielen kleineren Städten und im ländlichen Raum. Dort sind nach wie vor viele CarSharing-Standorte von der Schließung bedroht. In Baden-Württemberg hat die Landesregierung einen auf dieses Problem zugeschnittenen CarSharing-Rettungsschirm beschlossen. Er dient dazu, speziell diese weiterhin bedrohten Standorte zu erhalten. Einen solchen Schritt hätten wir uns auch in anderen Flächenländern gewünscht.
Nahverkehrs-praxis: Carsharing soll zu einer Verkehrsentlastung führen, indem möglichst viele private PKW durch im Vergleich dazu erheblich weniger Carsharing-Fahrzeuge ersetzt werden. Wie sah die sogenannte „Ersetzungsquote“ vor Corona aus, wie ist der momentane Stand und wie schätzen Sie die Marktentwicklung ein?
Gunnar Nehrke: Ein CarSharing-Auto ersetzt bis zu 20 Privatautos. Diese sehr hohe Quote wird in innenstadtnahen Wohngebieten erreicht. Betrachtet man Städte im Ganzen, liegen die Quoten oft bei 1:6 bis 1:10. Rechnet man die vermiedenen Neuanschaffungen in die Quote hinein, dann sind Werte von 1:15 und mehr keine Seltenheit.
Wir haben keine aktuell erhobenen Zahlen, die zeigen, ob diese Quoten sich durch die Corona-Krise verringert haben. Die Erfahrungsberichte der Anbieter, mit denen wir sprechen, gehen aber in eine andere Richtung. Die Zahl der Neuanmeldungen ist momentan bei vielen Anbietern fast unverändert zum Vorjahr. Und während der schlimmsten Zeit der Krise haben bei vielen CarSharing-Anbietern engagierte Kund*innen „Solidaritätsbuchungen“ vorgenommen, um Fahrzeuge und Standorte zu erhalten. Momentan haben wir keine Anzeichen dafür, dass CarSharing-Kund*innen, die bisher autofrei waren, sich nun verstärkt eigene Fahrzeuge anschaffen.
Nahverkehrs-praxis: Sie haben im Mai dieses Jahres eine „Umweltprämie 2.0“ und ein Investitionsprogramm des Bundes gefordert, um den Öffentlichen Nahverkehr, die Nutzung von Fahrrädern und Sharing-Angebote zu stärken. Wie sollte dieser Mobilitätspakt aussehen und welche Ziele könnten dadurch erreicht werden?
Gunnar Nehrke: Damals wurde über staatliche Wirtschaftshilfen in Folge der Corona-Pandemie diskutiert. Wir hatten eine Umweltprämie 2.0 anstelle einer Kaufprämie für Autos gefordert. Denn die Verkehrswende wird nicht vorangebracht, wenn immer wieder in privaten Pkw-Besitz investiert wird. Wir wissen aus einer Vielzahl verschiedenster Studien, dass nichts die privaten Haushalte so sehr an unser derzeitiges klimaschädliches und ineffizientes Verkehrssystem festkettet wie der private Autobesitz.
Die von uns geforderte Umweltprämie 2.0 beinhaltet ein Mobilitätspaket, das eine Jahreskarte für den ÖPNV, ein Fahrtguthaben für Sharing-Dienste sowie einen Zuschuss für den Kauf eines Fahrrads/Pedelecs umfasst. Sie zielt direkt darauf ab, geteilte Verkehrsmittel zu fördern und beinhaltet deshalb keine parallele Kaufprämie für (E-) Autos. Auf diese Weise wäre es möglich, gezielt ein effizientes, flächensparsames und klimaschonendes Mobilitätsverhalten zu fördern. Leider kam dann doch die Kaufprämie für E-Autos.
Nahverkehrs-praxis: Aktuell wird viel über die stärkere verkehrliche Anbindung des ländlichen Raums diskutiert. Ist Carsharing ein nur für Städte taugliches Konzept, oder könnten auch die stadtferneren Gebiete von einem Ausbau profitieren – und wenn ja, wie könnte das aussehen?
Gunnar Nehrke: Eines der ältesten CarSharing-Angebote von Deutschland ist in einer Vorort-Gemeinde von München entstanden. 1992 haben in Vaterstetten einige Einwohner einen CarSharing-Verein gegründet. Sie hatten damals schon das gleiche Ziel, wie es die Branche heute noch hat: Sie wollten den privaten Autobesitz verringern. Den Verein gibt es immer noch.
Heute haben wir in Deutschland 840 Orte mit einem CarSharing-Angebot. 445 dieser Orte sind Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern. Daran sehen wir: CarSharing funktioniert auch in ländlichen Gebieten. Voraussetzung dafür ist aber, dass es einen gut ausgebauten ÖPNV gibt. Sonst ist man auf dem Land ohne Auto tatsächlich aufgeschmissen. Aber in Verbindung mit einem guten Anschluss an Bus und Bahn kann CarSharing im ländlichen Raum mindestens den Zweitwagen ersetzen.
Beim Bundesverband haben wir vier wesentliche Betriebsmodelle und eine Reihe von Erfolgsfaktoren identifiziert, die es erlauben, CarSharing auch im ländlichen Raum langfristig erfolgreich zu machen. Wichtig ist aber, dass CarSharing dort in den seltensten Fällen ein aus sich selbst heraus wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell ist. Meist stecken in den Angeboten im ländlichen Raum Fördergelder, Zuschüsse von Kommunen oder viel ehrenamtliche Arbeit von CarSharing-Vereinen.
Nahverkehrs-praxis: Elektromobilität wird als das entscheidende Mittel zur Erreichung der Klimaschutzziele betrachtet. Carsharing-Unternehmen bieten auch Elektroautos an, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor oder Hybridautos sind aber noch die Regel. Wie sehen da die Planungen aus, wann sind E-Autos im Carsharing Normalität?
Gunnar Nehrke: Elektrofahrzeuge sind wichtig für einen klimaschonenden Verkehr. Daher passen sie hervorragend zu CarSharing. Im Vergleich zum Anteil von E-Fahrzeugen im gesamten deutschen Pkw-Bestand, ist der E-Anteil in der CarSharing-Flotte auch schon recht hoch. 18 Prozent aller CarSharing-Fahrzeuge sind batterieelektrische Fahrzeuge oder Plug-in Hybride. Der E-Anteil an der Gesamtzahl aller Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen beträgt nur 0,3 Prozent. Wir sind dem Gesamtmarkt also ein gutes Stück voraus.
Generell wollen wir natürlich, dass Verbrenner auf deutschen Straßen möglichst bald der Vergangenheit angehören. Das gilt für die 25.000 CarSharing-Fahrzeuge in Deutschland, es gilt aber auch für die übrigen 48 Millionen Pkw, die in Deutschland unterwegs sind.
Für die CarSharing-Branche ist es trotzdem aktuell noch problematisch, gänzlich auf Elektromobilität umzustellen. Das hat mehrere Gründe.
Der wichtigste ist: Auch CarSharing-Kund*innen sind oft „Elektro-Skeptiker“. Haben sie die Wahl zwischen einem Verbrenner und einem E-Auto, entscheidet sich eine Mehrheit für das herkömmliche Fahrzeug. Das macht es für Anbieter schwer, ihre E-Autos wirtschaftlich tragfähig bereitzustellen.
Der Bundesverband CarSharing fordert seit Langem, dass die Bundesregierung das CarSharing als Kommunikations- und Marketing-Plattform für E-Mobilität besonders fördert. Bisher müssen die Anbieter die Aufklärungsarbeit über E-Mobilität meist aus eigener Tasche bezahlen.
Ebenfalls ein wichtiger Grund, warum der E-Anteil im CarSharing nicht noch schneller steigt, ist die Reichweite der heutigen E-Fahrzeuge. Diese hat sich in den letzten Jahren zwar stark verbessert, aber damit CarSharing den privaten Pkw vollständig ersetzten kann, müssen lange Urlaubsfahrten mit CarSharing-Fahrzeugen ebenso leicht möglich sein wie mit privaten PKWs. Die dafür nötige Reichweite bringen E-Fahrzeuge bisher nicht mit.
Wir plädieren daher momentan für die Bereitstellung antriebsgemischter CarSharing-Flotten – mit einem ambitionierten E-Anteil, aber nicht vollelektrisch. Das ist übrigens auch die Strategie, mit der die Vergabekriterien für das Umweltzeichen Blauer Engel Carsharing festgelegt sind. Diese Thematik wäre anders zu bewerten, wenn Verbrenner in Deutschland generell vom Markt genommen würden.
Ein dritter Punkt ist das Problem des Ladens. Es gibt bisher keine Förderrichtlinie, die es erlaubt, Ladesäulen an CarSharing-Stationen im öffentlichen Raum zu fördern, weil die Ladepunkte dort nicht vollkommen öffentlich sind. Und an normalen Ladesäulen im öffentlichen Raum dürfen die Fahrzeuge nur während des Ladevorgangs stehen. Das ist für die CarSharing-Anbieter und ihre Kunden eine praktisch unlösbare logistische Aufgabe. Auch hier fordern wir vonseiten des Bundes dringend eine Überarbeitung der Förderrichtlinien.
Nahverkehrs-praxis: Herr Nehrke, vielen Dank für das interessante Gespräch.