Interview mit Dr. Rasmus Adler, Programm-Manager Autonome Systeme am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern.
Nahverkehrs-praxis: Herr Dr. Adler, Sie sind seit 2006 am Fraunhofer IESE tätig. Seit wann beschäftigt sich das Institut mit dem Thema „Autonomes Fahren“, wann sind Sie zum ersten Mal damit in Kontakt gekommen und was ist Ihre Aufgabe als Programm-Manager?
Adler: Das Fraunhofer IESE beschäftigt sich schon seit über zehn Jahren mit zentralen Forschungsfragen in dem Themengebiet. Ich persönlich habe mich mit relevanten Forschungsfragen zum ersten Mal während meiner Promotion auseinandergesetzt. Seit 2014 bin ich verstärkt in Projekten mit Kunden aus der Automobilindustrie in das Thema eingestiegen. Heute bin ich als Programm-Manager für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Abteilungen rund um autonome Systeme zuständig und widme mich dabei insbesondere dem Risikomanagement.
Nahverkehrs-praxis: Viele Fachleute gehen davon aus, dass autonomes Fahren mit Level 5, also ohne Fahrer, noch längere Zeit nicht realisierbar ist. Sehen Sie das auch so und wenn ja, welche Gründe hat das?
Adler: Für mich steht völlig außer Frage, dass voll-autonomes Fahren auf Level 5 ohne eine Einschränkung der entsprechenden Verkehrssituation im Individualverkehr auf aktuellem Stand der Technik nicht möglich sein wird. Je komplexer die Einsatzumgebung, desto mehr teure Sensorik ist notwendig. Außerdem ist man auf Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens angewiesen und die Anwendung dieser Methoden im sicherheitskritischen Kontext ist noch nicht ausreichend erforscht. Die Komplexität der Einsatzumgebung spielt also eine entscheidende Rolle. Dies spiegelt sich aber nicht in den Autonomiestufen der Society of Automotive Engineers wider. Die ALFUS Taxonomie für unbemannte Systeme vom amerikanischen Institut für Standards und Technologie ist da klarer, denn die Komplexität der Einsatzumgebung wird als orthogonaler Aspekt zur Unabhängigkeit vom Menschen dargestellt.
Nahverkehrs-praxis: Bei den Entwicklungsschritten hin zum autonomen Fahren wird oft die Prognose gemacht, dass ein erster Schritt das sogenannte „Platooning“ bei LKWs auf der Autobahn sein wird und sich auch die Weiterentwicklung eher im außerstädtischen Bereich abspielen soll. Autonomes Fahren im ÖPNV käme als letzter Schritt. Wie beurteilen Sie das?
Adler: Tatsächlich bietet das Platooning viele Anreize, die es lukrativ machen, das autonome Fahren intensiv voranzutreiben. Schließlich lassen sich dadurch nicht nur die Fahrer entlasten, sondern es lässt sich vor allem Sprit – und damit bares Geld – sparen. Beim Platooning fahren Fahrzeuge automatisch eng hintereinander im Windschatten. Es ist also eher als eine Art „virtuelle Deichsel“ anzusehen und nicht als Autobahnpilot. Beim ÖPNV ist die Sache völlig anders gelagert. Es geht nicht nur um eine virtuelle Deichsel, sondern um automatisiertes Fahren in einer sehr komplexen Umgebung. Perspektivisch wird also noch wesentlich mehr Zeit vergehen, bis wir von einem flächendeckenden autonomen ÖPNV sprechen können.
Das komplette Interview lesen Sie in der Nahverkehrs-praxis 5-2022.