Autonomer Betrieb von Stadtbahnen, Straßenbahnen und Bussen – Ergebnis bisheriger (erster) Versuche und zukünftiger EntwicklungenIn den nächsten Jahren stehen große Herausforderungen für die Gestaltung der Mobilität der Zukunft an. Insbesondere die Herausforderung aus dem UN-Klimaschutzabkommen von Paris, bis 2030 40 % und bis 2050 85 % weniger CO2-Emissionen zu emittieren, verlangt ein Umdenken in der Gestaltung der Mobilitätsangebote. Neben den Anforderungen an die Antriebstechnologie, fossilfreie Energie nutzen zu können, muss der Verkehrssektor auch effizienter werden. Hierzu bietet sich der Ausbau aller Arten des Umweltverbundes (Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV) an, der mit einem deutlich geringeren CO2-Footprint auskommt. Die verstärkte Nutzung der emissionsarmen Verkehrsmittel wird jedoch nur über eine Attraktivitätssteigerung, einen Kapazitätsausbau und eine Anpassung der Rahmenbedingungen erfolgreich sein. Die Diskussionen um eine CO2-Bepreisung, Citymaut, Parkraumbewirtschaftung, Steuerbefreiung von Job-Tickets, Reduktion der Trassenpreise für den Schienengüterverkehr etc. ergeben wichtige Bausteine für das Gelingen einer Verkehrswende.
Die technologischen Entwicklungen in der Digitalisierung helfen dem ÖV, die Attraktivität zu steigern, u. a. durch die Reduktion der Zugangsbarrieren mithilfe der Fahrgast- und Routing-Information sowie des elektronischen Ticketings.
Eine weitere Zugangsbarriere zum ÖV stellen die Hin- und Rückwege vom eigenen Standort zur Haltestelle dar. Um diese „Last- und First Mile“-Distanzen angenehmer überbrücken zu können, wurden u. a. Bike- und E-Tretroller-Sharing- sowie Anrufsammeltaxi-, Rufbus- bzw. On-Demand-Shuttle-Angebote erarbeitet. Da sich diese Angebote nur in hochfrequentierten Gebieten rechnen, konnten diese noch keine flächendeckende Verbreitung finden.
Von den technologischen Entwicklungen im Bereich des autonomen bzw. automatisierten Fahrens verspricht sich die ÖV-Branche nun Potenziale, z. B. neue zusätzliche Zubringerverkehre automatisiert anbieten zu können. Damit könnten mithilfe der neuen Technologien Fahrten von Haustür zu Haustür gebucht, bezahlt und mit effizienten, CO2-armen bzw. -freien Verkehrsmitteln angetreten werden.
Für diese im Sinne des Flächenverbrauchs, der Energienutzung, der Ressourcenschonung etc. positive Vision sind natürlich entsprechende Rahmenbedingungen und technologische Entwicklungen nötig.
Dieses Ziel der attraktiven Verkehrswende lässt sich nur erreichen, wenn schnellst möglich autonome Kleinbusse zur Verfügung stehen und im ÖPNV eingesetzt werden dürfen. Aktuell begrenzt neben dem technischen Entwicklungsstand auch der Rechtsrahmen eine Angebotserweiterung. Der Einsatz und Regelbetrieb von autonom fahrenden Fahrzeugen im öffentlichen Straßenraum ist de lege lata unzulässig.
Der Betrieb solcher Fahrzeuge im öffentlichen Straßenraum ist nur im Rahmen einer Sonderbetriebserlaubnis möglich, welche die maximale Höchstgeschwindigkeit auf 24 km/h begrenzt und einen an Bord befindlichen Einsatzbegleiter („Operator“) erfordert, der im Notfall die Fahrzeugsteuerung übernehmen kann. Um diesen Rechtsrahmen anzupassen, finden auf nationaler, europäischer und völkerrechtlicher Ebene Gespräche darüber statt, wie straßenverkehrs- und zulassungsrechtlichen Vorschriften anzupassen seien. Ein aktuell diskutierter Entwicklungsschritt ist dabei, sich von der Notwendigkeit eines physisch anwesenden Operators zu lösen – unter der Prämisse dem Fahrgast einen „Nothalt“ zu ermöglichen sowie den Einsatz der Fahrzeuge in einem definierten Anwendungsraum unter Einsatz einer Leitstelle zur Steuerung und Überwachung zu ermöglichen.
Diese Rahmenbedingungen entsprechen genau den Anforderungen des ÖPNV und weisen daher den richtigen Weg hin zur aufgezeigten zukünftigen ÖV-Mobilitätsvision.
Neben dem Versprechen im Koalitionsvertrag, noch in dieser Legislaturperiode entsprechende rechtliche Voraussetzungen zu schaffen, die einen autonomen Betrieb in spezifischen Anwendungsfällen auf geeigneten Infrastrukturen ermöglichen, unterstützt der Bund u. a. diese Entwicklungen durch einen ressortübergreifenden Aktionsplan, Förderprogramme, das Einrichten von Testfeldern und den Austausch in Fachgremien zur Positionsfindung und Entwicklung der Rahmenbedingungen.
Der ÖV entwickelt und testet neue betriebliche und technische Konzepte
Automatisiertes Fahren auf der Schiene
1984 wurde mit der H-Bahn in Dortmund die erste automatisiert fahrende Straßenbahn, d. h. eine ohne Fahrzeugführer betriebene Schienenbahn, in Deutschland in Betrieb genommen. Seit 2008 wird automatisiertes Fahren auf der Schiene in Nürnberg auf der U3 erfolgreich betrieben. Seitdem wurden weitere Schienenprojekte umgesetzt, z. B. verschiedene Peoplemover-Systeme an Flughäfen und ÖPNV-Projekte in Toulouse, Rennes, Paris, Taipeh, Dubai etc. Bei diesen Projekten konnten jedoch die Anforderungen zur Umfelderkennung durch die Forderung nach einem separaten Fahrweg stark reduziert werden. So werden diese Systeme auf eingezäunten Strecken, mit Plattformtüren an Haltestellen, auf Viadukten oder in Tunneln eingesetzt. Sie werden durch ein Stellwerk und eine Sicherungsebene der ATC („Automatic Train Control“) gesteuert und gesichert. Eine Betriebszentrale kann vorher abgespeicherte Betriebsprogramme vorgeben und diese automatisiert ausführen lassen (Automatic Train Operation (ATO)). Stellwerke und dezentrale Rechner der ATC übernehmen die signaltechnische Fahrwegsicherung und die nachgeschaltete Zugsicherung (Automatic Train Protection (ATP)).
Da die Kosten für das Fahrpersonal, umgelegt auf die Anzahl der Fahrgäste pro U-Bahn-Zug, wirtschaftlich kaum zu Buche schlagen, wurden diese Systeme hauptsächlich gebaut, um
o mehr Pünktlichkeit,
o kürzere Wartezeiten durch eine höhere Taktdichte,
o geringere Energiekosten durch eine optimierte Fahrweise,
o geringere Instandhaltungskosten und weniger technische Defekte,
o schnellere Anpassung der Zahl der eingesetzten Bahnen zu Spitzenzeiten
zu erreichen. Die Technologie zum Betrieb einer voll automatisierten U-Bahn oder eines Peoplemover-Systems auf getrennten Bahnanlagen ist vorhanden und Stand der Technik. So wird heute ca. die Hälfte aller neuen U-Bahnen für einen automatisierten Betrieb gebaut. Auch die Wiener Linien und die Hamburger Hochbahn erweitern ihr Liniennetz jeweils um die Linie 5 mit einem automatisierten Betrieb, um die oben genannten Vorteile generieren zu können.
Auch im Vollbahnbereich ist der Automatisierungsgrad mit LZB- und ETCS-Technologie schon fortgeschritten. Für eine komplette Automatisierung wären aber noch einige Rahmenbedingungen und Infrastrukturinvestitionen notwendig.
Im Bereich der Straßenbahnen finden ebenfalls Entwicklungen und Tests zum automatisierten Betrieb statt. Aus wirtschaftlichen, rechtlichen und betrieblichen Gründen wurde jedoch mit Automatisierung erst in den letzten Jahren begonnen. Hierbei findet eine Integration von Fahrassistenzsystemen in die Tram-Steuerung statt. 2013 wurde erstmalig Sensorik zur Erkennung von Hindernissen im Fahrweg aus dem Automotive-Bereich auch bei Straßenbahnen eingesetzt. Seitdem sind die technischen Möglichkeiten nahezu exponentiell gewachsen. Die damals konzipierten „Fahrerassistenzsysteme zur Kollisionsvermeidung“ (FAS) waren eine Revolution; heute sind sie im betrieblichen Einsatz Realität und werden bei fast jeder Fahrzeugausschreibung vorgegeben.
Die Anforderungen an die straßenbündig betriebenen Tram-Systeme ähneln technologisch eher denen an die Pkw. So muss die automatisiert fahrende Tram so autark reagieren können, als ob diese durch einen Straßenbahnfahrer mit „Fahren auf Sicht“ gesteuert würde. Realisiert wird dies mit den nachfolgend aufgeführten Sensoren, deren Signale/Daten in einem eigenen Rechner an Bord des Fahrzeuges ausgewertet und beurteilt werden:
o Radar
o LIDAR
o Videokameras (Mono oder Stereo)
Hierbei muss weiter an der Qualität und Zuverlässigkeit der Sensoren, u. a. im Bereich von Gegenlicht und bei Temperaturschwankungen, gearbeitet werden. Die immer komplexer werdende Software wird aktuell auch nur auf bekannte
Szenarien geprüft. Neue Prüfungsalgorithmen müssen entwickelt werden, und auch die Handhabung der „lernenden Software“ und Künstlichen Intelligenz muss noch erworben werden.
Flankiert durch den medienwirksam aufbereiteten Betrieb von mehr oder weniger autonom fahrenden Straßenfahrzeugen (im Individualverkehr oder im ÖPNV), hat auch der autonome Betrieb von Straßenbahnen mit den auf der InnoTrans 2018 vorgestellten Projekten in Potsdam (Siemens), Karlsruhe (Thales) und Paris (Alstom) zumindest als Schlagwort in der Branche Einzug gehalten. Im Mittelpunkt steht derzeit das Konzipieren einer sicheren Umfelderkennung und -interpretation (vergleichbar mit der ATP beim automatisierten Fahren), das im Bereich eines Safety Integrity Levels (SIL) 3 oder 4 liegen müsste.
Um den Betrieb im Umfeld mit einfacheren Rahmenbedingungen testen zu können, wird mittelfristig ein fahrerloser, autonomer Rangierbetrieb im Betriebshof als technisch machbar angesehen.
Autonomes Fahren auf der Straße
Postauto Schweiz begann im Sommer 2016 in Sitten mit dem Testbetrieb von zwei autonom fahrenden Shuttlebussen. Gemeinsam mit dem Hersteller und dem Bundesamt für Verkehr (BAV) wurden die Fahrzeuge zugelassen und auf einer 1,5 km langen Strecke durch die Innenstadt von Sitten erprobt. Mehrere Projekte, u. a. auch in Deutschland, folgten.
Um die oben beschriebene Verkehrsvision umsetzen zu können und mit kleinen autonom fahrenden Shuttlebussen einen zusätzlichen neuen Service zu entwickeln, finden verschiedene Tests und Erprobungen statt. Hierbei werden neben der Fahrzeugtechnik auch Untersuchungen in folgenden Bereichen vorangetrieben:
o Fahrgastakzeptanz und -verhalten
o Fahrgastwechsel
o Kommunikation mit dem Fahrgast
o Betriebsabwicklung bei Störungen und Umleitungen
o Betriebslenkung und Disponierung von autonomen
Fahrzeugen
o Erkennen von Hindernissen
o vorausschauende Bewertung von Ereignissen analog einem Fahrzeugführer
Exemplarisch werden die folgenden Projekte dargestellt:
-Hamburg:
Die Hamburger Hochbahn betreibt mit „HEAT (Hamburg Electric Autonomous Transportation)“ in der Hafencity ein innovatives Projekt mit dem Ziel der realen Integration in den städtischen Verkehr und einer Präsentation zum ITS-Weltkongress 2021. Hierbei soll ein 3,6 km langer Rundkurs mit
9 Haltestellen befahren werden und das Fahrzeug für 16 Personen im Verkehrsfluss mitschwimmen. Die Herausforderungen sind u. a. die Einbindung des Fahrzeuges in die vorhandene Infrastruktur, z. B. Kommunikation mit Lichtsignalanlagen. Projektpartner sind u. a. IAV für das Fahrzeug sowie Siemens für die Infrastruktur und die digitale Leittechnik.
-Leipzig:
Die Kernidee des Projektes „Absolut“ der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) ist die Entwicklung von Fahrzeugen, die mit ortsüblicher Geschwindigkeit (~60 km/h) und hoher Automatisierung in die zukünftigen Verkehrsangebote der LVB eingebunden werden können. Neben der Zulassung und Erprobung der Fahrzeuge ist auch ein Pilotbetrieb zum Testen verschiedener Einsatzkonzepte im öffentlichen Raum geplant.
-Monheim (Rheinland):
Die Stadt Monheim möchte die erste Stadt in Europa sein, die autonome Busshuttles als Flotte im Linienbetrieb einsetzt. Hierzu werden fünf autonome Kleinbusse der Firma Eaysmile an allen Tagen in der Woche als eigene Linie im Zehnminuten-takt im fließenden Verkehr fahren. Die 2 km lange Strecke führt vom Busbahnhof in die Altstadt.
Die Projekterfahrungen zeigen, dass die Fahrgäste überdurchschnittlich begeistert von der Technologie und dem Potenzial waren und keine Berührungsängste zeigten. Die Fahrzeuge der ersten Generation bieten jedoch noch einige Verbesserungspotenziale. Insbesondere in der Umfelder-kennung und der Navigation müssen noch deutliche Fortschritte erzielt werden, um diese Technologie im Linienbetrieb nutzen zu können. Da die erste Generation an Fahrzeugen auf einer Art „virtuellen Schiene“ fährt und damit mit Ausweichmanövern Schwierigkeiten hat, soll die 2019 folgende Fahrzeuggeneration auf einem „virtuellen Streifen“ fahren. Hierdurch sind Ausweichmanöver im definierten Rahmen besser zu realisieren.
Um weitere Aufgaben bewältigen zu können, bilden sich nun Entwicklungskooperationen zwischen Startups und klassi-schen Automobilzulieferern. Insbesondere die international tätigen Automobilzulieferer arbeiten sehr intensiv an Konzepten zur Automatisierung des Fahrprozesses.
Ausblick
Die Technologie zum autonomen Fahren hat einen bemerkenswerten Entwicklungsstand erreicht. Trotzdem sind viele Fragen im Bereich der Ethik, der Standardisierung, der Gesetzgebung, der Rahmenbedingungen, der Infrastruktur und deren Finanzierung noch weiter zu klären. Der ÖPNV verfolgt seine Ziele zum Ausbau neuer Angebote und zur Reduktion der Zugangsbarrieren zum ÖPNV mit dem Ziel, mehr Fahrgäste für die energie- und emissionsarme bis -freie sowie ressourcenschonende Mobilität zu gewinnen.
Die bisherigen Projekte auf der Schiene und im Straßenbereich befinden sich auf einem Experimentierlevel, bieten dadurch jedoch viele Erkenntnisse zur Weiterentwicklung der Fahrzeuge, Software, Hintergrundsysteme und betrieblichen Konzepte.
Zur Zielerreichung, dass der Verkehr weniger Raum einnimmt und weniger Energie verbraucht, sind die zu gestaltenden Rahmenbedingungen entscheidend. Autonomes Fahren führt nur in enger Vernetzung mit dem ÖPNV als Ridesharing-Konzept zu einer geringeren Verkehrsbelastung und einer neuen nachhaltigen Mobilität. Durch die technologischen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung und des autonomen Fahrens lässt sich eine neue attraktive Mobilität für alle schaffen. Daran arbeitet die ÖV-Branche.
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Bild 2: Projekte in Deutschland mit autonom fahrenden Shuttles (Bild: VDV).