Schaeffler und Perpetuum arbeiten seit 2018 zusammen, um Betreibern mit Hilfe von Sensortechnik zur Zustandsüberwachung einen optimalen Service zu bieten, der es ihnen erlaubt, die Verfügbarkeit ihrer Schienenfahrzeuge signifikant zu erhöhen und Betriebskosten zu reduzieren. Nahverkehrs-praxis sprach darüber mit Dr. Michael Holzapfel, Leiter Geschäftsbereich Rail – Industrie Europa, Schaeffler Technologies AG, und Rolf Laager, Sales Manager DACH Region bei Perpetuum Ltd.
Nahverkehrs-praxis: Herr Laager, Schaeffler ist auf dem deutschen Verkehrsmarkt eine schon lange bekannte Größe, Perpetuum ist sicherlich nicht allen Lesern ein Begriff. Geben Sie uns ein paar Informationen über das Unternehmen.
Laager: Perpetuum ist ein englisches Unternehmen, das 2004 als Spin-off der Southampton University gegründet wurde. Das Unternehmen beschäftigte sich intensiv mit Schwingungstechnik und dem Fokus, Energy-Harvester zu entwickeln, die kinetische Energie in elektrische Energie umwandeln. Vor ungefähr zehn Jahren wurde dann entschieden, sich ausschließlich mit dem Bahngeschäft zu beschäftigen. Perpetuum spezialisierte sich in der Folge auf die Fahrwerksfernüberwachung von Schienenfahrzeugen. Dazu wurden draht- und batterielose Beschleunigungssensoren sowie eine komplette Analyseplattform entwickelt. Anfangs war das Unternehmen ausschließlich in England unterwegs und danach im angelsächsischen Raum, seit 2018 dann auch verstärkt in Deutschland.
Nahverkehrs-praxis: Herr Dr. Holzapfel, Schaeffler ist als Zulieferer von Wälzlagern in der Industrie etabliert. Inwiefern greifen Sie als Komponentenhersteller die neuen Möglichkeiten auf, die die Digitalisierung bietet?
Holzapfel: Schaeffler ist in der Schienenbranche vor allem ein Lieferant von Wälzlagern und hat dadurch einen ganz spezifischen Blick durch die Komponente auf die Systeme. Das Wälzlager ist ein Produkt, das alle Belastungen spürt, die an einem Fahrzeug auftreten und so sind wir in der Lage, das Gesamtsystem „Schienenfahrzeug“ gut zu verstehen. Diese Erfahrungen nutzen wir schon seit über 100 Jahren.
Wenn jetzt Wälzlager als strategisch wichtige Stellen im Schienenfahrzeug mit einer Sensorik ausstattet werden, können wir besser Aussagen über den Zustand eines Fahrzeugs treffen. Mit Hilfe dieser genauen Zustandsüberwachung ist es möglich, einen Realitäts-Check durchzuführen, um besser zu verstehen, wie das System funktioniert und wie unsere Komponenten beansprucht werden. Deshalb haben wir ein hohes Interesse, durch Digitalisierung erstens unsere Produkte besser zu machen und zweitens für unsere Kunden auch einen gezielten Service zu bieten, in dem wir Wartungskonzepte ableiten, die verlängerte Wartungsintervalle ermöglichen, die Zuverlässigkeit von Fahrzeugen verbessern und frühzeitig Ausfallmöglichkeiten erkennen und somit vermeiden.
Nahverkehrs-praxis: Wie viel Prozent der gesamten Fahrzeugbetriebskosten werden für die Wartung von Radsatzlagern aufgewendet, und um wie viel Prozent könnten die Überholintervalle verlängert werden, wenn der Zustand bekannt wäre?
Laager: Nach unseren Berechnungen werden ungefähr 30 % der Gesamtbetriebskosten für die Wartung der Fahrzeuge aufgewendet und davon noch einmal ca. 30 % für die Wartung von Drehgestellen. Nach unserer Ansicht könnten, wenn der Zustand bekannt wäre, die Überholintervalle um 25 bis 75 % verlängert werden. Es kommt dabei natürlich immer auf die Ausgangslage an.
Holzapfel: Das Drehgestell ist ein wichtiges Teilsystem im Fahrzeug. Das Radsatzlager gehört dabei zu einem der Verschleißteile im Drehgestell, die das Wartungsintervall bestimmen, aber das können auch genauso gut Radreifen, Bremsen oder Gummi-Metall-Elemente sein. Um eine Verlängerung des Wartungsintervalls zu erarbeiten, ist es notwendig, das Drehgestell als Ganzes zu betrachten.
Nahverkehrs-praxis: Perpetuum ist seit zehn Jahren mit einem Komplettsystem aus Hard- und Software für die Zustandsüberwachung des Antriebsstrangs in Schienenfahrzeugen am Markt. Wohin führt Sie die Digitalisierung der Bahnindustrie?
Laager: Die Digitalisierung hat Perpetuum einfach die Möglichkeit gegeben, in den Bahnmarkt einzusteigen. Wir sind von Hause aus kein typisches Bahnunternehmen, wir machen vornehmlich Analytik. Durch die Digitalisierung wird aber die gesamte Wettbewerbslandschaft im Bahnbereich neu gestaltet und erlaubt auch branchenfremden Unternehmen den Eintritt in diesen Bereich.
Perpetuum betrachtet nicht nur Achslager, sondern den ganzen Antriebsstrang vom Motor zum Getriebe, hin zu Achslager und Räder. Zusätzlich generieren wir Daten und Informationen zur Rad-Schiene-Interaktion, das heißt, wir können ein Abbild von Veränderungen im Fahrweg erstellen, und Aussagen über die „Schienengesundheit“ treffen.
Wir denken, dass die Industrie gerade erst beginnt, das
Potenzial der Digitalisierung bei der Begutachtung kritischer Komponenten zu erkennen. Fahrwerke sind ein entscheidender Teil davon, wir sehen aber auch weitere Anwendungsfälle für die von uns generierten Informationen und merken, dass die Betreiber auch bereit sind, diese neuen Lösungen zu implementieren.
Nahverkehrs-praxis: Sie sprechen von dem Perpetuum-System. Was ist damit genau gemeint?
Laager: Grundlage des Systems sind aussagekräftige Daten, die wir vom Fahrzeug sammeln und dann analysieren. Dies geschieht, indem wir über unsere Hardware, einen sogenannten Wireless Sensor Node „WSN“ Dreiachsen-Beschleunigungssensor, der an den Achsenden befestigt wird, die Daten eines Fahrzeugs aufnehmen. Dieser Sensor ist „eigenversorgend“, er benötigt keine Stromversorgung von außen, z.B. durch Batterien. Er ist bis zu 25 Jahre wartungsfrei. Die erfassten Sensordaten werden an ein Gateway im Fahrzeug, den „Data Concentrator“, übermittelt, der alle Daten eines Fahrzeugs komprimiert an eine Cloud sendet. Dort laufen Perpetuum-eigene Algorithmen, die aus diesen Daten verwendbare Informationen generieren. Beispielsweise, dass sich der Zustand eines Achslagers verändert, beziehungsweise verschlechtert und sich dort längerfristig Probleme anbahnen könnten. Ein großer Vorteil dieser kabellosen Datenübertragung ist, dass eine Nachrüstung relativ einfach vorgenommen werden kann.
Nahverkehrs-praxis: Erkennt die Bahnbranche die Chancen, die sich durch diese Technik eröffnen?
Holzapfel: Die Bahnbetreiber sitzen momentan in der Klemme. Sie sollen, politisch gewollt, mehr Verkehr ermöglichen. Das wird aus Kostengründen nicht nur durch eine starke Vergrößerung des Fahrzeugangebots gelingen, sondern die bereits vorhandenen Fahrzeuge wird man intensiver einsetzen müssen. Dadurch ergeben sich höhere Laufleistungen und höhere Anforderungen, die Verfügbarkeit und längere Wartungszyklen betreffend. Deshalb gibt es natürlich vonseiten der Betreiber ein großes Interesse, durch verbesserte, innovative Wartungskonzepte mehr aus den Fahrzeugen herauszuholen. Die Digitalisierung stellt da eine große Chance dar, Wartungsfristen zu strecken und die Zuverlässigkeit zu erhöhen, indem man durch Überwachung frühzeitig Wartungsbedarf bemerkt und zielgerichtet steuern kann. Es ist der klare Trend bei Verkehrsunternehmen zu erkennen, dass die Forderung nach mehr Verkehr auch intelligentere Wartungskonzepte erfordert.
Nahverkehrs-praxis: Schaeffler und Perpetuum sind eine Kooperation eingegangen, um eine gemeinsame Vision anzupacken. Wie sieht die aus?
Holzapfel: Perpetuum bietet ein System, das schon vielfach in der Anwendung ist und nachgewiesen hat, dass es sehr gut funktioniert. Aus unserer Sicht sind sie führend und besitzen damit ein Alleinstellungsmerkmal. Dies in Kombination mit der Expertise von Schaeffler als Wälzlagerhersteller führt dazu, dass wir gemeinsam Datenmodelle nutzen können, um die Messdaten in Bezug auf das Wälzlager zu deuten und auszuwerten. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten, Services für unsere Kunden anzubieten und zwar so, dass sie von den festen Wartungsintervallen hin zu einer flexiblen zustandsbasierten Wartung wechseln können. Der Kern unserer Zusammenarbeit besteht darin, dass wir die Intelligenz und die Auswertungen des Perpetuum-Systems nutzen und mit unseren Erfahrungen bei Wälzlagern abgleichen, um den Betreibern valide und aussagefähige Informationen über die weitere Einsatzfähigkeit ihrer Fahrzeuge zu liefern. Das bietet einen echten Mehrwert für den Kunden.
Nahverkehrs-praxis: Herr Dr. Holzapfel, Herr Laager, vielen Dank für das Gespräch.