Lange drei Jahre hat die Ampelkoalition nun versucht, sich über parteipolitische und ideologische Grenzen hinweg „zusammenzuraufen“. Diese findet nun ein Ende mit multipler Ansage. Welche Auswirkungen wird dies auf den ÖPNV und die losen Enden seiner Jahrhundertherausforderungen haben? Ein Kommentar unseres Busexperten Thorsten Wagner.
Spätestens seit dem „Scheidungspapier“ mit aus Sicht von SPD und Grünen unerfüllbaren politischen Maximalpositionen dürfte jedem halbwegs mündigen Bürger klar gewesen sein: „Das wird nix mehr!“ Und wie zur Bestätigung trat Christian Lindner (FDP) dann letzten Sonntagabend im ZDF sichtlich angeschlagen vor die Kameras, um seine politischen Standpunkte zu wiederholen. Jetzt ist es also vorbei! „So. Dumm.“ Das soll Olaf Scholz nach dem Bruch im Kanzleramt laut „Spiegel“ und Reuters in seiner unnachahmlich nordischen Art kommentiert haben, bevor er zur wahrscheinlich emotionalsten und kämpferischsten und gleichzeitig strittigsten Rede seiner Kanzlerschaft nach der letzten Regierungserklärung vor die Kameras trat. Was folgt nun aus diesem politischen Drama in mehreren Akten?
Prof. Knut Ringat vom RMV sagte uns am Rande des zehnten Deutschen Mobilitätskongresses in Frankfurt/M.: „Positiv ist ja rein sachlich zu bewerten, dass wir unseren Verkehrsminister in dieser schwierigen Situation erstmal behalten. Er kann jetzt noch arbeiten, und er könnte ohne Christian Lindner so stark sein, dass er Erkenntnisse, die er gemeinsam mit der Branche über die vergangenen drei Jahre gesammelt hat, jetzt auch konkret umsetzen kann.“ Immerhin könnte mit Volker Wissing als einer der Väter des Deutschlandtickets, der sich nun bis zu einem gewissen Grad von den Fesseln seines Parteichefs entledigt hat, noch ein paar Dinge richten, die bisher im Argen lagen. Sein überraschender Austritt aus der FDP dürfte dabei eher von politischer Klarsichtigkeit als von persönlich getriebenem Egoismus zeugen.
Wie nötig diese Anpassungen und Versäumnisse wären, macht RMV-Chef Ringat sehr deutlich: „So könnte er zum Beispiel beim wichtigen Thema Governance und Standards zum Deutschlandticket, die es bis heute nicht gibt bzw. nicht bei der zuständigen ‚D-Tix‘-Gesellschaft politisch beauftragt wurden, in die Umsetzung gehen.“ Auf der Bühne des Kongresses spricht Ringat sogar von „systemischem Betrug“ bei der Einnahmeaufteilung für das Deutschlandticket.
Bei der Frage nach einer möglichen erweiterten Beinfreiheit bei der Finanzierung des Tickets ist Ringat dann aber eher zurückhaltend: „Man wird sehen, ob die Schuldenbremse tatsächlich fällt. Das ist aber derzeit Kaffeesatzleserei. Es gäbe zumindest die Chance, hier etwas positiv zu bewegen. Für die Nutzer ist das Deutschlandticket zwar eine Revolution, aber für eine Reihe Verkehrsunternehmen vor allem ohne einen großen Verbund im Rücken eine finanzielle Herausforderung bzw. ein wirtschaftliches Desaster.“ Zu klärende Themen gibt es ja mithin wirklich genug beim Deutschlandticket: die wieder infrage gestellte Überjährigkeit der Mittelverwendung, die unvollendete Einnahmenaufteilung, die nicht gegebene Governance und nicht zuletzt die wackelnde Finanzierung ab 2026. Gefühlt war diese „Revolution im ÖPNV“ von Beginn an ein feuchter Ampel-Traum, der allzu oft an der verkehrlichen Realität scheitert. Das Fazit von Knut Ringat: „Es geht aus meiner Sicht um einen Neuaufsatz der Finanzierung des ÖPNV per se und darin um eine Verstetigung des Deutschlandtickets. Mit Bund, Ländern, Kommunen und der Branche gemeinsam wäre die generelle Finanzierung neu zu starten. So wie bisher geht es einfach nicht weiter.“ Das sind deutliche Worte, die man sich in alten und neuen Koalitionen ins Stammbuch schreiben sollte.
Umso verwunderlicher, dass in der akuten Endphase der Regierung sich noch jemand des heißen Themas annehmen will: Tatsächlich sagt der SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich am Donnerstagabend in der ARD: „Wir wollen noch das Deutschlandticket sichern!“ Und das direkt als zweiten Punkt nach dem Kindergeld als inhaltliche Begründung, warum die SPD in einer Minderheitsregierung das bundesrepublikanische „Arbeitsparlament“ noch eine Zeitlang weiter beschäftigen möchte. Was die Opposition natürlich mit Verve ablehnt. Sie kann nicht anders, als parteipolitisch zu handeln. Friedrich Merz und sein ewiger Rivale Markus Söder “scharren schon erkenn- und hörbar mit den Hufen”, um die Regierung zu übernehmen. Da verbietet sich eine noch so nötige Kooperation in Sachthemen von selbst!
Immerhin können manche Branchenvertreter der Wirtschaftskrise auch Positives abgewinnen: Der Mangel an Busfahrerinnen und Busfahrern könne sich 2025 nach Einschätzung des hessischen Landesverbands LHO etwas abschwächen: „Durch den Arbeitsplatzabbau bei einigen Automobil- und Zulieferbetrieben könnten Beschäftigte in der Busbranche eine neue, langfristige Zukunftsperspektive finden.“ Hierzu stehe der Verband in den betroffenen Regionen (welche sind dies denn nicht?) in Kontakt mit Arbeitsagenturen. Man wird sehen, mit welchem Erfolg. Die Wirtschaftspolitik hat gerade enorm viel Sprengkraft. Immerhin hat sie (neben den haushalterischen Themen) soeben die Regierung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aus den Angeln gehoben.
Thorsten Wagner