Vier Punkte, warum der Tarifkonflikt im Nahverkehr so außergewöhnlich ist: Gastbeitrag von Sylvana Donath, Hauptgeschäftsführerin des KAV Baden-Württemberg, über die Warnstreiks von Verdi.
Der Tarifkonflikt in den kommunalen Nahverkehrsunternehmen im Land unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von anderen Tarifkonflikten. Die Gewerkschaft Verdi nutzt ihre Streikmacht – unabhängig vom Verhandlungsstand im jeweiligen Bundesland – bundesweit mit großer Wucht. Bis zum Beginn der dritten Verhandlungsrunde um den Manteltarifvertrag werden Pendlerinnen und Pendler in einzelnen Städten Baden-Württembergs schon wieder ohne Bus oder Straßenbahn zur Arbeit kommen müssen; diesmal am 29. Februar und 1. März. Diese erneuten Streiks sind unnötig, da die Arbeitgeberseite mehrfach Verhandlungsbereitschaft signalisiert hat.
Neben den massiven, bundesweiten Streikwellen von Verdi ist das Bündnis mit der Klimaschutzbewegung Fridays for Future (FFF) der zweite außergewöhnliche Punkt. Ein Schulterschluss einer Gewerkschaft mit einer sozialen Bewegung ist nicht das Besondere. Dass diese Zusammenarbeit zu gemeinsamen Streik-Aktionen führt, hingegen schon. In diesem Fall treten beide Organisationen vordergründig für Klimaschutz und die Verkehrswende ein. Es ist natürlich richtig, dass die Verkehrswende mehr Ressourcen in den Nahverkehrsunternehmen erfordert. Ohne einen besseren Takt gerade in ländlichen Regionen ist keine Mobilitätswende zu erreichen. Dennoch drängt sich mit dem Streikbündnis aus ver.di und FFF der Eindruck eines politischen Streiks auf, um die Politik zu Änderungen in der Finanzierung des ÖPNV zu zwingen.
Der dritte Punkt ist, dass Ver.di in den Tarifverhandlungen für Baden-Württemberg – entgegen den offiziellen Bekundungen – den Schwerpunkt auf finanzielle Aspekte legt. Außergewöhnlich ist hierbei auch die Größenordnung der Verdi-Forderungen. Denn die Beschäftigten in den kommunalen Nahverkehrsunternehmen profitieren schon jetzt vom Tarifabschluss der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, der durchschnittliche Gehaltssteigerungen von zwölf Prozent umfasst. Nun fordert Verdi nochmals einen massiven Nachschlag. In sogenannten Manteltarifverhandlungen ist es üblich, dass es um die Rahmenbedingungen der Arbeit geht – also etwa um maximale Schichtlängen. In diesen Verhandlungen geht es Verdi augenscheinlich vor allem um mehr Geld. Um sehr viel mehr Geld.
Drei Beispiele: Verdi fordert eine monatliche Nahverkehrszulage in Höhe von 450 Euro für alle Beschäftigten, ein 14. Monatsgehalt (aktuell sind es 13,2 Monatsgehälter) sowie die Reduzierung der Arbeitszeit von 39 auf 35 Stunden. Dazu kommt die Forderung, Gewerkschaftsmitgliedern fünf zusätzliche Urlaubstage einzuräumen. All diese Forderungen summieren sich auf ein gefordertes Gehaltsplus von 30 Prozent. Das ist nicht finanzierbar. Eine Branche, die innerhalb weniger Monate einen Zuschlag um insgesamt mehr als 40 Prozent erhält – das wäre rekordverdächtig. Würde Verdi die Forderungen durchsetzen, läge der Durchschnittsverdienst im Fahrdienst statt bei 4.000 Euro mit einem Mal bei 5200 Euro im Monat.
Der vierte außergewöhnliche Punkt ist, dass Verdi die massiven finanziellen Forderungen in der Öffentlichkeit gar nicht darlegt. In den Flugblättern und Medieninformationen nennt Verdi als zentrale Forderungen eine volle Anrechnung der Arbeitszeiten bei Verspätungen oder bisher unbezahlten Wegezeiten. In den Verhandlungen sind dies allenfalls Randaspekte. Aber vermutlich würde Verdi auf wenig Verständnis stoßen, wenn sie die Forderung nach einem Gehaltsplus von weiteren 30 Prozent, das die Steuerzahler bezahlen müssten, auch offenlegt. Die betroffenen Fahrgäste hätten für solch maßloses Verhalten sicher wenig Verständnis. Ehrlich allerdings wäre dies.
Zur Person: Sylvana Donath ist Hauptgeschäftsführerin des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Baden-Württemberg (KAV). Sie ist seitmehr als 23 Jahren in kommunalen Arbeitgeberverbänden tätig und führt seit 2006 Tarifverhandlungen für Beschäftigte im Bereich des Nahverkehrs auf Landesebene. Seit mehr als 18 Jahren begleitet sie die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf Bundesebene.