Mit dem auf drei Jahre angelegten Projekt „NoWeL4“ soll im Nordwesten Berlins erstmals vollautomatisierter und bedarfsgesteuerter Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) in großem Maßstab getestet werden. Das von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) koordinierte Projekt mit einem Volumen von über 18 Million Euro wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit 9,5 Millionen Euro gefördert. Das Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin wird die Beteiligung aller gesellschaftlichen Akteure sicherstellen und eine umfassende Technikbewertung durchführen. Der dafür vorgesehene Förderanteil beträgt 1,6 Millionen Euro.
„Schaut man sich den Fachkräftemangel an, der schon jetzt durch den demografischen Wandel herrscht, kann man ziemlich sicher voraussagen, dass durch verstärkte Ausbildung allein der zukünftige Personalbedarf im ÖPNV nicht gedeckt werden kann“, sagt Dr.-Ing. Wulf-Holger Arndt, Leiter des Forschungsbereichs „Mobilität und Raum“ am ZTG. Automatisierten Bussen ohne Fahrer komme deshalb in Zukunft eine besondere Bedeutung zu. „Wir haben das Glück, dass Deutschland auf diesem Gebiet tatsächlich mal Vorreiter war und im Juni 2022 als eines der ersten Länder ein Gesetz verabschiedet hat, das den Verkehr solcher Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen regelt.“
In der Nomenklatur des automatisierten Fahrens geht es hier um das sogenannte Level 4: Dabei fährt das Fahrzeug ohne Fahrerin vollautomatisiert im Normalbetrieb. Kameras, Laser-Abstandsmesser (Lidar), GPS-Ortung und digitale Karten zum aktuellen Straßenzustand halten es auf Kurs und sorgen für sichere Begegnungen mit anderen Verkehrsteilnehmerinnen. Sollte ein System ausfallen oder das Fahrzeug vor einer ungewöhnlichen Situation stehen, kann jederzeit die Leitzentrale eingreifen und Steuerbefehle auslösen.
„So erklärt sich das L4 in unserem Projektnamen“, erklärt Arndt. „NoWe steht dagegen für den Nordwesten Berlins, genauer das urbane Entwicklungsgebiet zwischen dem ehemaligen Flughafen Tegel, der Siemensstadt und den vormaligen Industriearealen in Gartenfeld und Haselhorst Nord.“ Dieses etwa 25 Quadratkilometer große „Entwicklungsband Nordwest“ sei eines der größten städtischen Entwicklungsgebiete Europas, so Arndt. „Das versetzt die Stadt in die Lage, den zukünftigen Bewohner*innen des Gebiets ein auf ihre Bedürfnisse maßgeschneidertes, nachhaltiges Verkehrskonzept anbieten zu können. Unser Projekt wird dafür ein wichtiger Baustein sein – und dazu beitragen, dass mehr Menschen auf ein privates Auto verzichten.“
„Um die Anliegen aller beteiligten gesellschaftlichen Gruppen zu erfassen, wird es einen von uns einberufenen Beirat geben“, ergänzt Robert Linke-Wittich, stellvertretender Bereichsleiter, der ebenfalls am Projekt beteiligt ist. Neben Bezirken und Quartiersmanagement, Wohnungsbaugesellschaften und Nachbarschaftsinitiativen werden darin auch Fahrrad- und Verkehrsclubs sowie Fahrgastverbände vertreten sein. In vielen iterativen Runden wird dort dann transdisziplinär an konkreten Vorschlägen zu passgenauen Verkehrsangeboten gearbeitet. „Über repräsentative Umfragen und Tiefeninterviews ermitteln wir zudem im Testbetrieb die Erfahrungen der Passagiere und die Akzeptanz der neuen Technik.“ Auch „teilnehmende Beobachtungen“ als am Geschehen beteiligte Verkehrsteilnehmer werden die Forschenden durchführen.
Wichtige Vorerfahrungen konnten die Wissenschaftler*innen vom ZTG bereits beim Vorläuferprojekt „Shuttles&Co“ sammeln, bei dem – noch mit Begleitperson (Automatisierungslevel 3) – kleine automatisierte Minibusse mit maximal sechs Passagieren in Alt-Tegel unterwegs waren. Auch das noch laufende Projekt „KIS’M“ mit automatisierten Fahrzeugen auf dem Flughafengelände Tegel und angrenzenden Straßenzügen dient als Referenz für NoWeL4.
„Ein wichtiges Ergebnis dieser Projekte war, dass die Akzeptanz wesentlich geringer wäre, wenn größere Fahrzeuge eingesetzt würden und zudem kein Begleitpersonal an Bord ist“, berichtet Wulf-Holger Arndt. Er ist deshalb sehr gespannt, welche Fahrzeuge konkret bei NoWeL4 zum Einsatz kommen werden (was noch nicht entschieden ist) und wie sich das Sicherheitsgefühl der Passagiere verbessern lässt.
Quelle: TU Berlin