Interview mit den Geschäftsführern der HeiterBlick GmbH, Samuel Kermelk und Bernd Flaskamp, und Alexander Ketterl, Geschäftsführer Kiepe Electric GmbH
Nahverkehrs-praxis: Herr Kermelk, Herr Ketterl sagen Sie uns bitte etwas zur Historie Ihrer Unternehmen.
Kermelk: Unsere Wurzeln sind fast einhundert Jahre alt. Wir sind aus den Leipziger Verkehrsbetrieben entstanden, die ihre Hauptwerkstatt in den 1920er Jahren im Nord-Osten im Stadtteil Heiterblick gegründet hatten. Dort ist auch heute noch das technische Zentrum der LVB. Aus dieser Werkstatt ist die Firma HeiterBlick hervorgegangen, die den Leoliner, eine Straßenbahnfahrzeug-Familie, entwickelt und als Prototyp gebaut hat. Im weiteren Verlauf wurde eine Firma ausgegründet, die sich mit Fahrzeugbau beschäftigt, aber mehrheitlich nicht der Stadt Leipzig gehört. Die ebenfalls hier ansässige Firma Kirow war bereit eine Halle zu vermieten, in der die Fahrzeuge gebaut werden konnten und mit 51% Mehrheitsgesellschafter des Unternehmens zu werden. So konnten die Leoliner Fahrzeuge gebaut und an die LVB geliefert werden. Dieses Gemeinschaftsunternehmen hat bis 2011 angehalten und wurde dann zu 100% privatisiert mit dem einzigen Eigentümer Kirow Leipzig KE Kranbau Eberswalde AG. Ebenso im Jahr 2011 startete ich als Geschäftsführer bei der HeiterBlick GmbH. Im Juli des Jahres 2022 habe ich dann die Anteile an der Firma übernommen, die heute HeiterBlick GmbH heißt und eigentümergeführt ist.
Wir haben inzwischen 55 Leoliner gebaut, 153 Hochflur-Stadtbahnen TW 3000 für die ÜSTRA und 40 Fahrzeuge für Bielefeld. Dazu kommt ein Auftragsbestand von ca. 150 Fahrzeugen, für die DSW21 in Dortmund (Neubau und Sanierung) sowie Neufahrzeuge für die Würzburger Straßenbahn und die Leipziger, Zwickauer und Görlitzer Verkehrsbetriebe.
Ketterl: Kiepe Electric hat sich seit 1906 der Elektrik unterschiedlichster Produkte verschrieben, wir begannen mit Bogenlampen. Schon damals war Düsseldorf der Stammsitz des Unternehmens, heute haben wir weitere Standorte in Italien, der Schweiz, Österreich, Kanada und USA. Seit den 50-er Jahren ist unser Unternehmen ein wichtiger Player im europäischen und vor allem deutschen Nahverkehr. Zunächst bei Oberleitungsbussen und später bei der Ausrüstung von Straßenbahnen. Seitdem ermöglichen wir nachhaltige Mobilitätskonzepte und sind stolz, damit bis heute in weltweiten Metropolen präsent zu sein. Ich denke an unsere neues E-Bus-Projekt in Paris und an den ÖPNV in San Francisco, Vancouver, Manchester oder eben auch in Dortmund und Leipzig, gemeinsam mit HeiterBlick. Ich selbst kam im Juni 2020 als Geschäftsführer zu Kiepe Electric. Seitdem habe ich den Kurs klar auf zukunftsorientierte und nachhaltige ÖPNV-Lösungen ausgerichtet, die unseren Kernkompetenzen nahestehen. Dabei denke ich an hochmoderne Stadtbahnen mit unseren Leit- und Energiemanagementsystemen, innovative Batteriebusse mit Schnellladetechnik und unser neustes Produktsegment den Schnellladestationen, auch „High Power Charging“ genannt.
Nahverkehrs-praxis: Was unterscheidet HeiterBlick in seiner Philosophie von den großen Fahrzeugherstellern?
Kermelk: Die Flexibilität, die Fähigkeit sich auf besondere Anforderungen einzurichten. Das ist u.a. ein Kennzeichen mittelständischer Unternehmen. Man hat das Ziel vor Augen und sucht sich einen Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Wir haben keine feste Unternehmensstrategie und können deshalb auch ungewöhnliche Wege gehen, um schnell auf besondere Vorstellungen von Verkehrsunternehmen zu reagieren.
Flaskamp: Wir sind spezialisiert darauf, eine besondere Fahrzeuggattung entwickeln und herstellen zu können. Also ein Fahrzeug, dass ein Konzern nicht schon fertig in der Schublade liegen hat oder von einer vorliegenden Fahrzeugplattform abwandeln kann. Deshalb wird die Bahn für Bielefeld auch nur in Bielefeld fahren können. Das Fahrzeug für die ÜSTRA, bei dem wir für Kiepe Electric Subunternehmer sind, war so extrem designorientiert, dass auch das in keine Schublade passte. Und das Würzburger Fahrzeug ist von der Geometrie, von der Technik, von den Anforderungen wie den starken Steigungsfahrten und den Lichtraumprofilen in der Altstadt wiederum so einzigartig, dass es nur dort eingesetzt werden kann. Bei den Fahrzeugen in Leipzig, Görlitz und Zwickau handelt es sich eigentlich um Plattformfahrzeuge, aber jede Stadt hat ihre eigene Spurweite und verschiedene Wagen-kastenbreiten. Hier können Kiepe Electric und HeiterBlick ihre Flexibilität einbringen, um größtmögliche Kundenzufriedenheit zu erreichen.
Nahverkehrs-praxis: Warum gibt es in Deutschland im Vergleich zu beispielsweise Frankreich deutlich weniger Plattformfahrzeuge?
Ketterl: Weil jede Stadt in Deutschland traditionell eine sehr individuelle Infrastruktur hat. Aufgrund dieser Individualisierung tun sich viele Hersteller im deutschen Straßenbahnmarkt schwer. Viele globale Marktteilnehmer beteiligen sich primär bei großen Ausschreibungen, nicht aber bei kleineren oder mit individuellen Anforderungen. Um das Ganze auch noch profitabel abzuschließen, ist es Voraussetzung sich mit dem System Straßenbahn sehr genau auseinanderzusetzen. Es ist entscheidend zu verstehen, was der Kunde wirklich möchte, statt anzubieten, was im Unternehmensportfolio vorhanden ist. Hört man dem Kunden zu, lassen sich viele Enttäuschungen vermeiden, und seine Zufriedenheit ist hoch. Das haben HeiterBlick und Kiepe Electric gelernt und sind deshalb auch zusammen sehr erfolgreich. Das Geheimnis ist eine intensive und intelligente Vernetzung mittelständischer Unternehmen, die in der gleichen Taktung und Flexibilität unterwegs sind und auch langfristig zusammenarbeiten können und wollen.
Das komplette Interview lesen Sie in der Nahverkehrs-praxis 6-2023.