Die Europäische Kommission stellt an diesem Mittwoch ihren großen „Fit for 55″-Plan zur Verringerung von Treibhausgasen vor. Er setzt an vielen Stellen an – und birgt einigen Konfliktstoff. In Brüssel fällt das Wort „historisch”. Noch nie, sagen Politiker, habe die EU-Kommission ein solch umfassendes, vielschichtiges Paket vorgelegt. „Fit for 55″ soll darlegen, wie die EU bis 2030 den Ausstoß von Kohlendioxid um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren will. Bisher betrug das Ziel 40 Prozent. Die Behörde schlägt vor, acht Gesetze zu verschärfen und vier neue zu beschließen. Sie würden das Leben und Wirtschaften auf dem Kontinent verändern.
Vor einer Umwälzung steht der Verkehrssektor. Neben einem Emissionshandel will die EU-Kommission die Flottengrenzwerte für Autohersteller verschärfen. Es wird erwartet, dass sich ihr CO₂-Ausstoß bei Neuwagen bis 2030 um bis zu 60 Prozent im Vergleich zu heute verringern muss. Eine Technologie dafür wird nicht vorgegeben. Da Wasserstoff-Antriebe oder synthetische Kraftstoffe zu teuer sind, deutet alles auf das Elektroauto hin. Das Ende des Verbrennungsmotors könnte 2035 kommen. Daraus folgt ein Strukturbruch vor allem in der Zulieferindustrie. Wer heute Vergaser und Getriebe baut, hat morgen womöglich keinen Job mehr. Die IG Metall fordert staatliche Unterstützung für den Umbau der Standorte und die Weiterbildung der Beschäftigten. Um Elektroautos laden zu können, will die EU-Kommission die Mitgliedstaaten verpflichten, die Ladeinfrastruktur stark auszubauen. An Schnellstraßen sollen alle 60 Kilometer Ladestationen stehen.
Im September beginnen die Verhandlungen über die Vorschläge: Das Paket der Kommission wird aufgeschnürt. „Die größten Optimisten hoffen, dass wir Ende 2022 fertig sind”, sagt ein EU-Diplomat. Allgemein wird in Brüssel mit „mehreren Jahren” gerechnet, obwohl in der Klimakrise eines fehlt: Zeit. Zunächst müssen die EU-Länder eine gemeinsame Position für jeden Einzelvorschlag finden, dafür können sie die Pläne der Kommission überarbeiten. In Steuerfragen ist sogar Einstimmigkeit nötig. Dann muss eine Einigung mit den EU-Abgeordneten gefunden werden, deren Klima-Ehrgeiz höher ist. Erst wenn beide Institutionen zustimmen, treten die Regeln in Kraft.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Stellungnahme des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)
VDV-Präsident Ingo Wortmann: „Das nun vorliegende Gesetzespaket der EU-Kommission begrüßen wir, da es aus Sicht unserer Branche an den richtigen Stellschrauben ansetzt, um gemeinsam in der EU bis 2030 die verschärften Klimaschutzziele zu erreichen. Nur wenn Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam und mit der nötigen Konsequenz an der Umsetzung des Klimaschutzes mitwirken, können wir die notwendige Reduktion von Treibhausgasen in diesem kurzen Zeitraum noch schaffen. Das „Fit for 55“-Paket der EU-Kommission leistet dazu einen wichtigen Beitrag und die darin enthaltenen Gesetzgebungsinitiativen werden auch im Verkehrssektor zur Emissionsreduzierung beitragen.“
Positive Entwicklungen bei Energiebesteuerung und Ladeinfrastruktur
Bei den Änderungsvorschlägen zu zwei zentralen Richtlinien im Gesetzespaket der EU-Kommission sehen der VDV und seine Mitgliedsunternehmen positive Ergebnisse für die Branche. Zum einen werden ÖPNV und Schiene im Rahmen der „Energiebesteuerungsrichtlinie (2003/96/EG)“ als wichtige Dienste anerkannt. Damit können die Mitgliedstaaten auch weiterhin reduzierte Steuersätze bei der Energiebesteuerung anwenden. „Das ist mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene und mit Blick auf die künftigen Betriebskosten im ÖPNV ein entscheidender Punkt. Denn unsere Angebote werden nicht nur auf der Schiene, sondern auch beim Bus immer häufiger elektrisch betrieben. Eine reduzierte Besteuerung, etwa auf den Fahrstrom, ist daher unbedingt notwendig, um bei zunehmender Elektrifizierung der Branche weiterhin wirtschaftlich fahren zu können“, so VDV-Präsident Wortmann.
Eine zweite wichtige Entscheidung der Kommission findet sich aus Branchensicht in der „Richtlinie über den Aufbau der Infrastuktur für alternative Kraftstoffe (2014/94/EU)“: Die Mitgliedstaaten sollen künftig den öffentlichen und nicht-öffentlichen Aufbau von ÖPNV-Infrastruktur für alternative Kraftstoffe – also zum Beispiel Ladeinfrastruktur für E-Busse auf den Betriebshöfen – mit in ihre nationalen Strategien aufnehmen. Zudem bleibt die Definition von „alternativen Kraftstoffen“ im bisherigen Sinne nahezu erhalten. Dadurch wird Rechtssicherheit bei der Umsetzung der Clean Vehicles Richtlinie gewährleistet, die sich für ihre Definition eines „sauberen Busses“ auf die Liste der Technologien stützt. Bei bereits geplanten und getätigten Investitionen, etwa in entsprechende Fahrzeuge seitens der Verkehrsunternehmen, sind damit keine weiteren Anpassungen nötig. Aus dieser bisherigen Richtlinie soll außerdem künftig eine Verordnung werden, die damit unmittelbar in den EU-Mitgliedsstaaten gilt und nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden muss.
„Insgesamt zeigt die EU-Kommission, dass sie mit diesen Vorschlägen und Verbesserungen erkannt hat, dass der Aufbau und die Investitionen in alternative Antriebe und in den Öffentlichen Verkehr insgesamt ein Schlüssel sind, um die europäischen Klimaschutzziele bis 2030 im Verkehrssektor zu erreichen. Nun müssen die einzelnen Initiativen schnellstmöglich von EU-Parlament und Ministerrat beschlossen werden, damit sie zeitnah umgesetzt werden können“, so Wortmann abschließend.
Quelle: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV)
Stellungnahme des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK)
Das heute veröffentlichte Klimaschutz-Paket „Fit for 55“ der EU-Kommission führt faktisch zum Verkaufsverbot von Neufahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ab 2035. Dann dürfen Neufahrzeuge kein CO2 mehr ausstoßen. Das Europäische Parlament und der Europäische Rat müssen dem Paket jedoch noch zustimmen. Für den Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) ist das der falsche Weg. „Wer sich einseitig auf die Elektromobilität festlegt, vergibt die große Chance, auf Basis klimaneutral betriebener Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sehr schnell und nachhaltig zum Erreichen der Klimaziele beizutragen“, so ZDK-Präsident Jürgen Karpinski.
Allein in Deutschland seien zurzeit rund 46,5 Millionen Pkw mit Benzin- oder Dieselmotoren im Bestand, das entspricht rund 94 Prozent aller Pkw. In den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union seien dies insgesamt sogar 99,5 Prozent der rund 249 Millionen Pkw. „Auch die Autofahrerinnen und Autofahrer brauchen eine verlässliche Perspektive, dass auf absehbare Zeit Ersatz für fossile Treibstoffe verfügbar ist. Hier ist die Politik gefordert, die alternativen Kraftstoffe genauso zu fördern wie die Elektromobilität.“ Denn es werde auch in Zukunft Menschen geben, für die ein E-Fahrzeug aus verschiedenen Gründen nicht in Frage komme. Und die Brennstoffzelle wäre nicht nur für den Schwerlastverkehr eine lohnende Alternative.
„Nur mit einem Technologiemix kann eine bezahlbare, individuelle Mobilität langfristig gewährleistet werden“, ist der ZDK-Präsident überzeugt. Mit Elektromobilität allein könnten die Klimaziele schon aufgrund der europaweit nach wie vor meist mangelhaften Ladeinfrastruktur nicht erreicht werden. „Wir brauchen Technologieoffenheit, um den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit den Wirtschaftsraum Europa zu stärken“, so Karpinski. „Fahrzeuge mit klimaneutral betriebenen Verbrennungsmotoren müssen auch aus Kundensicht eine Zukunft haben.“
Die Pressemeldung finden Sie unter www.kfzgewerbe.de
Quelle: Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK)