Die große Koalition will den Einstieg neuer Anbieter in den Taxi- und Fahrdienstmarkt erleichtern und das Personenbeförderungsgesetz dahingehend ändern. Nahverkehrs-praxis sprach über die Folgen der geplanten PBefG-Novelle für den Wettbewerb im ÖPNV und für Anbieter von Pooling-Diensten im Speziellen mit Dr. Tom Kirschbaum, Co-Gründer & Geschäftsführer der door2door GmbH.
Nahverkehrs-praxis: Laut geplanter Novelle des Personenbeförderungsgesetzes soll es neuen Anbietern erleichtert werden, in den deutschen Taxi- und Fahrdienstmarkt einzusteigen. Die sogenannten Pooling-Angebote sollen dauerhaft erlaubt werden. Was wird sich durch die Novelle Ihrer Ansicht nach ändern?
Dr. Kirschbaum: Das Erste, was als positiver Fortschritt bei der Novelle zu konstatieren ist, betrifft das Thema „Rechtssicherheit“. Wir alle wissen, dass in der aktuellen Version des PBefG die neuen Mobilitätsdienste, inklusive der Pooling-Angebote, kein richtiges Zuhause haben. Behörden und Anbieter legen die Rechtsgrundlage bisher so aus, dass über die Experimentierklausel oder über atypische Linienverkehre Genehmigungen erteilt werden können. Diese stehen dann aber oft auf etwas wackeligen Füßen und sind meistens auch noch über die Experimentierklausel zeitlich befristet. Wirkliche Rechtssicherheit, die notwendig wäre, um in dieses Zukunftsfeld nachhaltig investieren zu können, existiert nicht. Wenn es jetzt zu einer neuen Regelung kommt, die klarstellt, dass das PBefG diese Mobilitätsdienstleistungen inklusive des Ride-Poolings erlaubt, wäre das schon einmal ein sehr grundsätzlicher Fortschritt.
Aus meiner Sicht ist zweitens ein guter Kompromiss für alle Beteiligten absehbar. Anbieter mögen das aus ihrer Perspektive heraus anders sehen, aber ich finde, wir müssen uns miteinander zunächst einmal über die Zielsetzung klar werden. Wenn ein effizienter Verkehr als Teil der Verkehrswende in den Innenstädten dazu führen soll, dass weniger Verkehrsaufkommen stattfindet und im ländlichen Raum für eine hinreichend gute Abdeckung gesorgt wird, ist das nach meiner Auffassung primär eine öffentliche Aufgabe. Das muss das Gesetz auch abbilden und gleichzeitig Raum lassen für Wettbewerb und private Angebote in eben diesem Rahmen.
Der Weg muss sein, Pooling-Dienste als eine neue Verkehrsform im PBefG aufzunehmen und dabei sowohl kommunal betriebene Angebote als auch private Anbieter einzubinden. So erhält man eine Vielfalt, ohne zu viel Liberalisierung und Wettbewerb zuzulassen – denn anderenfalls würden die öffentlichen Interessen unter die Räder geraten. Es zeichnet sich jetzt aber ein Weg ab, der diese Interessen vernünftig miteinander in Einklang bringt.
Nahverkehrs-praxis: Ulrich Lange, Vizevorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, spricht von „klar definierten Grenzen für mehr Wettbewerb auf dem Mobilitätsmarkt“. Sehen Sie das auch so positiv?
Dr. Kirschbaum: Soweit ich weiß, gibt es bisher bestimmte Eckpunkte als Grundlage eines Entwurfs, der dann auch ins parlamentarische Verfahren kommt. Vorbehaltlich der noch nicht bekannten Einzelheiten gehe ich davon aus, dass es Raum für Wettbewerb geben wird. Wenn es darum geht, öffentliche Interessen durchzusetzen, sind auf der einen Seite öffentliche Akteure nötig. Andererseits ist aber klar, dass Wettbewerb das Geschäft belebt und dazu führt, dass der eine oder andere, der sonst sich vielleicht drei Mal überlegt, ob er etwas Neues, eventuell Risikobehaftetes macht, schneller zu notwendigen Entscheidungen gelangt. Es ist in der Novelle des PBefG offenbar vorgesehen, dem Wildwuchs bei Pooling-Diensten, wie man ihn aus anderen, vor allem den sehr liberalisierten Märkten in den USA kennt, einen Riegel vorzuschieben. So soll Wettbewerb in klar definierten Grenzen stattfinden können – das ist zu begrüßen. Wie klar diese Grenzen umschrieben sind, wird das Gesetz zeigen.
Nahverkehrs-praxis: Was bedeutet die PBefG-Novelle für Door2Door, einem Unternehmen, das mit den öffentlichen Verkehrsbetrieben zusammenarbeiten möchte? Können Sie mit der Novelle leben?
Dr. Kirschbaum: Ich könnte mit der Novelle gut leben. Denn ich glaube, dass sie dazu führen wird, dass die Kommunen endlich einschätzen können, auf welcher Basis solche Verkehre zur Ergänzung und gelegentlich auch zum Ersatz nichteffizienter Linienverkehre einsetzbar sind. Ich erwarte, dass aus der kommunalen Politik, die ja oft in den Gremien der kommunalen Unternehmen vertreten ist, die klare Ansage kommt, die Pooling-Angebote deutlich auszuweiten. Es gibt jetzt einen klaren Rechtsrahmen, und es gibt auch Fördermittel. Insofern können sowohl rechtlich wie wirtschaftlich keine Gründe mehr vorgeschoben werden, dieses Thema nicht aufzugreifen. Wir stehen mit unseren Erfahrungen gerne bereit, den Verkehrsunternehmen dabei zu helfen. Die jetzige Entwicklung stellt sowohl für uns als auch für die Kommunen und die kommunalen Verkehrsbetriebe eine positive Entwicklung dar.
Nahverkehrs-praxis: Mit der Novelle wollen Union und SPD besonders den ländlichen Raum stärken. Anbietern wie Uber wird aber immer vorgeworfen, Angebote in diesem nicht gerade gewinnträchtigen Bereich gar nicht anbieten zu wollen. Ist dieser Vorwurf falsch, wird das Angebot auf dem Land zukünftig besser?
Dr. Kirschbaum: Ich finde es nicht überraschend, dass Unternehmen, die an der Börse notiert sind, also rein privatwirtschaftlich agieren, Mobilität im ländlichen Raum nicht attraktiv finden. Das kann man ihnen gar nicht vorwerfen, denn sie arbeiten nun einmal gewinnorientiert. Sie haben ein Produkt in den Markt zu bringen, das sich wirtschaftlich trägt. Wir alle wissen, der ländliche Raum ist sehr zersiedelt, und häufig ist es dort weniger möglich, ausreichend Geld für öffentlich angebotene Mobilität in die Hand zu nehmen als in den Ballungsgebieten. Mir ist bisher kein Rezept dafür bekannt, Mobilität im ländlichen Raum auf der einen Seite wenigstens annähernd flächendeckend anzubieten und andererseits dabei Geld zu verdienen. Vielleicht funktioniert das, wenn irgendwann das autonome Fahren kommt, weil man dann eine andere Kalkulation durchführen kann. Bis dahin ist Mobilität im ländlichen Raum etwas, was uns öffentliches Geld wert sein muss. Sie kann mit Einsatz von Technologie, wie auch wir sie bereithalten, effizienter gestaltet werden als in der Vergangenheit.
Allerdings darf man nicht glauben, dass dies jetzt zu einer regelrechten „Cashcow“ werden wird, also von heute auf morgen Gewinne abwirft. Zu glauben, dass man öffentliche Interessen wie ÖPNV im ländlichen Raum oder die Verkehrswende allein durch die Gesetze des Marktes regeln kann, ist eine Fehleinschätzung.
Nahverkehrs-praxis: Können diese neuen Mobilitätsdienste wirtschaftlich betrieben werden?
Dr. Kirschbaum: Ich bin der festen Überzeugung, dass Pooling-Verkehre wirtschaftlich tragfähig sein können. Dabei sind aber verschiedene Parameter zu berücksichtigen. Zum einen müssen sie so eingesetzt werden, dass sie den ÖPNV nicht kannibalisieren und sich preislich zwischen einem Ticket für den klassischen Linienverkehr und dem Preis für ein Taxi bewegen. Zum anderen müssen sie in einer bestimmten Verfügbarkeit im Markt vorhanden sein. Sie können nicht erwarten, dass viele Menschen diesen Service in einer Großstadt nutzen, wenn sie nur mit relativ wenigen Fahrzeugen unterwegs sind. Denn so kann die kritische Masse, die sie brauchen, um die Effizienzgewinne eines solchen Systems auch wirklich nutzen zu können, nicht erreichen werden. Das funktioniert erst mit einer großen Fahrzeugflotte. Dies ist bisher noch nicht der Fall, nicht zuletzt deswegen, weil es die nötige Rechtssicherheit noch nicht gab.
Entscheidend ist aber auch die bessere Einbindung des Taxigewerbes. Bevor kommunale Verkehrsunternehmen Hunderte neuer Fahrzeuge beschaffen, Fahrer neu ausbilden und einstellen und entsprechend hohe Kosten auf sich laden, sollten stattdessen Taxifahrzeuge in die Pooling-Flotten integriert werden. Das wird durch das neue Gesetzt hoffentlich möglich, denn dies ist eines der wichtigsten noch offenen Details. Das hieße, dass Taxis nicht nur unter Taxi- sondern auch unter Pooling-Lizenzen eingesetzt werden könnten. So erhielte man einen kalkulierbaren, wirtschaftlich attraktiven Verkehr.
Nahverkehrs-praxis: Der ÖPNV ist wichtiger Teil der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung – eine überholte Vorstellung?
Dr. Kirschbaum: Im Gegenteil, ich hoffe auf eine Renaissance der Daseinsvorsorge. Das „Dasein“ des Staates für die Bürger eines Landes ist extrem wichtig für die Gesellschaft, und der Staat und die öffentlichen Akteure sollten Vorsorge dafür treffen, dass die elementaren Bereiche unseres Lebens auf eine bestimmte Art und Weise funktionieren. Das hat das Funktionieren des Gesundheitswesens in den letzten Wochen gezeigt, und auch der ÖPNV hat seine Sache gut gemacht. Ich denke, dass die Mischung von Staatlichem und Privatem eine gute Melange ergibt und hoffe, dass dies auch der Weg ist, der im neuen PBefG beschritten wird.
Nahverkehrs-praxis: Wie schätzen Sie die Folgen der Coronakrise für den ÖPNV ein?
Dr. Kirschbaum: Nach meiner Beobachtung haben die Einhaltung der Hygienemaßnahmen im ÖPNV und das verantwortungsvolle Verhalten der Fahrgäste dazu geführt, dass die Ansteckungsgefahr hier nicht größer ist als in anderen Situationen. Ich gehe davon aus, dass der öffentliche Personennahverkehr auch in und nach Coronazeiten seine Stärke wieder zurückgewinnen wird. Es mag sein, dass er im Moment nicht den leichtesten Stand hat, aber das Virus wird spätestens durch die Entwicklung eines Impfstoffes in vielleicht einem Jahr von geringerer Bedeutung sein. Die Verkehrswende hingegen wird uns 10-15 Jahre beschäftigen, und ohne den ÖPNV mit klassischem Linienverkehr und kleineren Fahrzeugen wie beim Ride-Pooling als Rückgrat des Stadtverkehrs ist dieses Ziel langfristig nicht zu erreichen.
Weitere Informationen zur Novellierung des PBefG finden Sie hier.