Wer im Zug im Internet surfen will, braucht oft viel Geduld. Die Erfolgsrate beim Aufbau von Internetseiten liegt selbst bei Hochgeschwindigkeitszügen je nach Netzanbieter gerade einmal bei 41 bis 65 Prozent. Ein Hindernis für guten Funkempfang stellen die Fensterscheiben der Züge dar, deren Beschichtung als Wärme- und Sonnenschutz dient. Allerdings wird nicht nur die Wärme- bzw. Sonnenstrahlung reflektiert, sondern auch alle sonstigen elektro-magnetischen Wellen. Dadurch wirkt der Waggon wie ein Faraday’scher Käfig. Bei Hochgeschwindigkeitszügen beträgt die Abschirmung 99,9 Prozent. Forschern von Siemens ist es nun gelungen, das Problem durch eine frequenzselektive Beschichtung von Fensterscheiben zu lösen.
„Die Fensterscheiben sind mit einer elektrisch leitenden, transparenten Schicht aus Metallen oder Metalloxiden versehen. Entlang von Linien in einer speziellen Struktur wird mittels Laser die metallische Beschichtung der Scheibe verdampft. Dadurch können Funksignale in bestimmten Frequenzbereichen ungehindert passieren, während Funksignale mit anderer Frequenz gedämpft werden. Der Empfangspegel für mobile Endgeräte im Zug verbessert sich damit massiv“, erklärt Lukas W. Mayer, Projektleiter bei Siemens, den Ansatz. Bisherige Lösungen hatten den Nachteil, dass sie nur in einem schmalen Frequenzbereich gut wirksam waren, während sich in anderen Bereichen die Durchlassdämpfung der Scheiben sogar verschlechterte. „Mit unserer Lösung erreichen wir in einem mit Hochfrequenz-Scheiben ausgestatteten Waggon eine reduzierte Abschirmung, die für Hochgeschwindigkeitszüge einer 50-fach stärkeren Signalleistung in Mobilfunkbändern entspricht. Messungen mit einem modifizierten ÖBB Railjet haben ergeben, dass sich die Zeitdauer, in der ein guter 4G-Empfang verfügbar ist, um 33 Prozent erhöht“, sagt Mayer.Wir wollten für unsere Kunden eine kostengünstige Lösung“, betont Mehrdad Madjdi von der Siemens-Division Mobility und präzisiert: „Die Scheiben sind über Jahrzehnte wartungsfrei einsetzbar. Sie sind zwar in der Anschaffung teurer, bringen aber im Vergleich zu In-Train-Repeatern langfristig eine nennenswerte Einsparung.“ Dafür sorgt die geringe Durchgangsdämpfung der Scheiben über einen weiten Frequenzbereich von 700 Megahertz bis 3.5 Gigahertz. Der Vorteil besteht darin, dass die Scheiben nicht nur für heutige Frequenzbänder, sondern auch für künftige Mobilitätsstandards geeignet sind. Somit sind neueste Mobilfunkservices sofort, ohne jede weitere Investition, für die Fahrgäste verfügbar.
Auch die Montage ist kostengünstig: Der Einbau im Fahrzeug erfolgt ohne zusätzliche technische Komponenten und es sind keine besonderen Qualifikationen des Personals notwendig. Bei bestehenden Waggons können die Scheiben jederzeit nachträglich eingebaut werden. Bei ersten Tests mit Fahrgästen zeigt sich: Die Struktur ist mit freiem Auge kaum sichtbar. Die Testpersonen konnten weder bei Tag noch bei Nacht eine Sichtbeeinträchtigung feststellen. Durch die Beschichtung kann teilweise sogar eine bessere Energieeffizienz erzielt werden, wodurch auch das Behaglichkeitsgefühl der Fahrgäste erhöht wird. Das Fazit: Mehr Komfort und bessere Reisequalität. Ihren ersten Einsatz haben die innovativen Zugscheiben im regulären Fahrgastbetrieb ab Ende 2018 in den Zügen des Rhein-Ruhr-Express (RRX) in Deutschland.