Die Nahverkehrs-praxis hat sich zum Ziel gesetzt, aktuelle Ereignisse und Entwicklungen in der Branche fachlich aufzugreifen. Dazu gehören auch die in der Silvesternacht vielerorts begangenen, schweren kriminellen Taten von sexueller Gewalt gegen Frauen, oft auch in Verbindung mit Diebstahl. Ein in höchstem Maße zu verurteilendes Tatenspektrum, das jetzt von den Sicherheitsorganen des Bundes und der Länder aufgearbeitet wird.
In Köln war in besonderer Weise auch der öffentliche Personenverkehr mit dem Hauptbahnhof und seiner großen Eingangshalle betroffen, da viele Besucher der Silvesterfeier mit der Bahn angereist waren und hier direkt auf die Bedrohungslage stießen. Überträgt man nun diese außerordentlich prekäre Situation perspektivisch auf zukünftige Großveranstaltungen in vielen Städten, bei denen Besucher häufig ebenfalls mit dem ÖPNV anreisen, stellt sich für die Verkehrsunternehmen folgerichtig die Frage, wie man dieser Entwicklung gemeinsam mit der Polizei bestmöglich begegnen kann, um ähnliches zu verhindern? Wir haben nachgefragt, wie Verkehrsunternehmen die Herausforderungen und die Lage nach den Vorfällen in Köln einschätzen:
Die ÖPNV-Branche äußert sich:
Jürgen Fenske, Vorstandsvorsitzender der Kölner Verkehrs-Betriebe AG:
"Die Republik ist erschüttert über die entsetzlichen Vorfälle in der Silvesternacht, in Köln und in anderen Städten. In dieser hochemotionalen Situation gibt es eine neue Sicherheitslage. Das betrifft natürlich auch den ÖPNV mit seinen vielen Verbindungen und Bahnhöfen. Die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs sind bei dem Thema Sicherheit ebenso gefordert wie die Kommunen, Polizei- und weiteren Ordnungskräfte. Vor allem kommt es darauf an, dass wir mit großer Aufmerksamkeit die Situationen vor Ort beobachten und sensibel für mögliche Gefahren sind und bleiben. Lieber einmal mehr einen Hinweis an die richtige Stelle geben und im Zweifel zusätzliche Mitarbeiter vor Ort einsetzen. Hier leisten die Unternehmen im VDV mit ihrem Personal und den Sicherheitskräften beachtliches. Für ihren oft schwierigen Einsatz vor Ort und auf der Strecke können wir nur ein dickes Dankeschön sagen. Ergänzt werden muss der Personaleinsatz durch eine wirksame Videoüberwachung. Sie schützt präventiv und hilft bei der Aufklärung von Straftaten. Trotz der aktuellen Stimmungslage gilt aber auch, dass Busse und Bahnen in aller Regel sicher sind. Leider haben wir aktuell Anlass, noch aufmerksamer zu” sein.
Herbert König, Vorsitzender der MVG-Geschäftsführung:
„Die Sicherheit unserer Fahrgäste steht seit vielen Jahren oben auf der Agenda – und zwar nicht nur die objektive Sicherheit, sondern auch deren subjektive Wahrnehmung, denn die ist entscheidend für die Zufriedenheit der Kunden und ihre Entscheidung, ob öffentliche Verkehrsmittel aus Sicherheitsgründen gemieden werden oder nicht. Unser Sicherheitskonzept beruht daher auf umfassenden Untersuchungen zum Sicherheitsempfinden und hat folgende Schwerpunkte: 1. Personelle Präsenz, gemeinsam durch die Polizei und unsere gut ausgebildete U-Bahnwache, 2. Videoüberwachung (von den Kunden auch ausdrücklich gewünscht!). 3. MVG-Notfallsäulen in allen U-Bahnhöfen als unmittelbare Kontaktmöglichkeit zum MVG-Betriebszentrum; 4. Sauberkeit, werthaltige Gestaltung unserer Anlagen und Verkehrsmittel, Vermeidung uneinsehbarer Ecken, gute Ausleuchtung, 5. Alkoholkonsumverbot. Das Konzept geht bisher auf, denn seit vielen Jahren wird die Sicherheit bei der MVG von den Kunden hoch bewertet und auch die objektiven Zahlen sind gut. Fakt ist aber auch, dass die Fahrten mit Bussen und Bahnen immer Teil einer Wegekette sind. Soll heißen: Ein gutes Sicherheitsgefühl im ÖPNV kann es nur in einer sicheren Stadt geben, gesamtgesellschaftliche Probleme kann nicht der ÖPNV lösen! Fazit: Es gibt kein spezifisches Sicherheitsproblem im Münchner ÖPNV. Das gilt auch für die zahlreichen Großveranstaltungen, bei denen uns zwar zunehmend ihre verkehrliche Bewältigung, nicht aber häufige Übergriffe auf Fahrgäste Sorgen” machen.
Ulrike Riedel, Vorstand Personal und Betrieb, Hamburger Hochbahn AG:
„In der Tat sind die Straftaten in Köln und Hamburg, aber auch an anderen Orten rund um den Jahreswechsel absolut zu verurteilen und sehr besorgniserregend. Allerdings bedeutet das nicht, dass sie auch automatisch den ÖPNV betreffen. Die Nähe des Hauptbahnhofes zur Domplatte in Köln mag dieses nahelegen, aus meiner Sicht handelt es sich jedoch um ein gesellschaftliches Problem, das viele Orte betrifft. Dies kann auch den ÖPNV mit einschließen, das Augenmerk sollte jedoch auf die eigentlichen Straftaten und Ausschreitungen gelegt werden. Wir sollten gemeinsam verhindern, dass dieses Thema medial auf den ÖPNV übertragen wird und unsere Fahrgäste verunsichert werden. Unsere Haltestellen und Fahrzeuge sind meiner Überzeugung nach deutlich sicherer als andere öffentliche Plätze beispielsweise durch anwesendes Personal, Überwachungskameras, Notrufeinrichtungen und ähnliche Vorkehrungen. Es gibt keinen Grund, Bus und Bahn plötzlich nicht mehr zu” nutzen."
Mehr Informationen finden Sie auch in der nächsten Ausgabe der Nahverkehrs-praxis.