Mal kommt der laut Fahrplan vorgesehene Bus nicht, mal fällt ein Zug aus. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) wird immer unzuverlässiger. Das ist das Ergebnis einer bislang unveröffentlichten Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die der Berliner Morgenpost vorliegt. "Die Engpässe dürften sich in den kommenden Jahren noch verschärfen, weil die Mehrheit der ÖPNV-Unternehmen mit steigenden Kundenzahlen rechnet", stellen die Autoren der Studie fest.
Bundesweit sichern 2347 Unternehmen den Transport von Pendlern oder Schülern in Stadt und Land. Die große Mehrheit der Betriebe ist zwar in privatem Besitz. Doch die rund 350 öffentlichen Unternehmen bewältigen den Löwenanteil des Verkehrs mit Bussen und Bahnen. Von den fast elf Milliarden Fahrgästen im Jahr entfallen 9,7 Milliarden auf den ÖPNV. Weitere 530 Millionen Passagiere werden von halb öffentlichen Betrieben gefahren. Lange Zeit wurden die oft kommunalen Verkehrsträger subventioniert, zum Beispiel durch die Gewinne, die Städte mit ihren Stadtwerken erzielten. Doch auf Druck der EU sollen sich die Unternehmen europäischen Wirtschaftlichkeits- und Wettbewerbsbedingungen anpassen.
Diese Anpassung ist nach Einschätzung der Böckler-Stiftung zwar gelungen, hat aber erhebliche Schattenseiten zutage gefördert. "Die kostenorientierten Umstrukturierungen haben die Arbeitsbedingungen vielfach deutlich verschlechtert", berichten die Forscher. Dies ergab die Befragung von über 200 Betriebs- und Personalräten. Personal wurde abgebaut, Schichtpläne verengt. Insbesondere im Fahrdienst beklagen die Beschäftigten einen wachsenden Arbeitsdruck. Ähnlich angestiegen sind die Anforderungen an das Wartungspersonal in den Werkstätten.
"Drei Viertel der Beschäftigten beurteilen die Restrukturierung negativ", heißt es in der Studie. Innovative Ansätze wie Gruppenarbeit oder andere Formen der Beteiligung der Mitarbeiter würden verringert oder eingestellt, weil die Betriebe unter wirtschaftlichen Druck gerieten.
Trotz aller Anstrengungen erwirtschaftet der Nahverkehr seine Kosten nicht selbst. Rund 15 Milliarden Euro setzen die Unternehmen im Jahr um. Doch fast jeder vierte Euro kommt als Ausgleichszahlung von der öffentlichen Hand. Obwohl der Kostendeckungsgrad in den vergangenen Jahren angestiegen ist, liegt er im Durchschnitt noch immer unter 80 Prozent.
Die finanziell schwache Lage drückt sich auch beim Material aus. "Ein weiteres großes Problem sind Investitionsrückstände, die in einzelnen Städten schon zu Einschränkungen im Fahrplan führen", betonen die Autoren. Die Studie geht von einem Investitionsrückstau im Umfang von rund vier Milliarden Euro aus. Zudem würden jährlich 500 Millionen Euro fehlen, um den Nachholbedarf zu decken.
Drei Viertel der Unternehmen rechnen bis zum Jahr 2020 mit einem erheblichen Zuwachs an Fahrgästen, ergab die Analyse. Es gebe allerdings ein erhebliches Gefälle zwischen Stadt und Land. In ländlichen Regionen teilt diese Zuversicht nicht einmal jeder dritte Verkehrsbetrieb.
Bund und Länder haben sich zwar über die Zukunft der sogenannten Regionalisierungsmittel geeinigt. Statt 7,3 Milliarden Euro schießt der Bund ab 2016 acht Milliarden Euro dazu. Jährlich kommen dann noch einmal 1,8 Prozent dazu. Doch angesichts des Investitionsstaus im öffentlichen Nahverkehr dürfte diese Steigerung nicht ausreichen. Die Finanznot erreicht schon den Fuhrpark: "Anstatt regelmäßig Fahrzeuge zu kaufen, werden Busse und Bahnen einem höheren Verschleiß unterworfen", kritisiert Studienautor Hubert Resch.